Feuerprobe für das Kongresshaus und die Tonhalle Zürich
Am 15. September 2021 war es endlich soweit: Nach vierjähriger Sanierung konnte die neue Tonhalle Zürich, eines der bedeutendsten Konzerthäuser Europas, wiedereröffnet werden. Dass der denkmalgeschützte Komplex aus Tonhalle und Kongresshaus in altem Glanz erstrahlt, ist mitunter einem ausgeklügelten Brandschutzkonzept zu verdanken.
Noch sind das Podium und die Besucherstühle des grossen Saals der Tonhalle Zürich leer. Dennoch liegt an diesem Werktag im März 2021 Spannung in der Luft. Die Aufmerksamkeit der Anwesenden gehört heute einem ganz speziellen «Instrument», das unter dem Namen «Izar» bekannt ist. Izar betritt immer dann die Bühne, wenn es darum geht, Realbrandversuche durchzuführen. Seit zehn Jahren arbeitet das Brandschutz-Team von Basler & Hofmann am Projekt Kongresshaus und Tonhalle Zürich. Die Expertinnen und Experten sind mit der umfassenden Brandschutzberatung von der Projektierung bis zu den finalen Abnahmen beauftragt. Der altehrwürdige Veranstaltungsort am Zürcher Seeufer musste dringend saniert werden. Die Tonhalle mit dem grossen und kleinen Saal stammt aus dem Jahr 1895, das Kongresshaus entstand in den 30er-Jahren anlässlich der Landesausstellung. 2016 wurde der Kredit für die Erneuerung vom Zürcher Volk gutgeheissen.
Zielkonflikte zwischen Brandschutz, Denkmalpflege und Nutzung
Der einzigartige Gebäudekomplex steht unter Denkmalschutz. Für die mit der Sanierung beauftragten Planungsunternehmen stellte dies eine besondere Herausforderung dar: Den beauftragten Architekten Elisbeth Boesch und Roger Diener und der Denkmalpflege war es ein zentrales Anliegen, dass möglichst wenig in die Bausubstanz eingegriffen wurde. Gleichzeitig hatten die beiden Betreibergesellschaften des Kongresshauses und der Tonhalle klare Anforderungen an die künftige Nutzung der Gebäude: Damit die Veranstaltungsstätten wirtschaftlich betrieben werden können, sollen möglichst viele Personen an den Anlässen teilnehmen können. Für die Brandschutz-Ingenieure und -Ingenieurinnen von Basler & Hofmann war schnell klar: Den Brandschutz anhand der in den heutigen Vorschriften vorgesehenen Standardlösungen umzusetzen wäre nur mit unverhältnismässigem Aufwand möglich.
Flammen züngeln, Rauch steigt auf
Zurück zu Izar, dem Protagonisten des heutigen Tages. Sorgfältig schieben Juan Blond und Christoph von Stauffenberg die mobile Heissrauchanlage in den grossen Saal der Tonhalle. Drinnen bereiten die beiden Experten die eigens von Basler & Hofmann entwickelte Anlage auf ihren Einsatz vor. "Mit Izar testen wir, ob unsere computerbasierten Entrauchungssimulationen stimmen und die Brandschutzmassnahmen wie geplant wirken", erklärt Christoph von Stauffenberg. Die Resultate dienen als Sicherheitsnachweis für die Brandschutzbehörde.
Bereits steigt weisser Rauch aus den silbernen Rohren von Izar auf. "Herzstück der Anlage ist ein tischgrosser Gasbrenner. Mit diesem produzieren wir einen heissen Wärmestrom, dem ein hitzebeständiges, niederschlagsfreies Nebelfuid beigemischt wird. Über die Steuerung können wir verschiedene Brandverläufe simulieren. Sensoren zeichnen die Temperaturverteilung im Raum auf und ermöglichen uns nach dem Versuch den Vergleich mit den Simulationen", hält Juan Blond fest. Im Gegensatz zu einem realen Brand besteht für das Gebäude und seine Ausstattung keine Gefahr: So kann zum Beispiel genau kontrolliert werden, wie viel Wärme Izar abgibt, damit keine Sprinkler ausgelöst werden. Nach ungefähr 15 Minuten dreht Christoph von Stauffenberg den Gashahn zu. Weiter geht's an den nächsten Testort.
Wenn Standardlösungen nicht genügen
Um der architektonischen Einzigartigkeit der Gebäude und den Nutzungsinteressen der Betreibergesellschaften gerecht zu werden, haben die Brandschutz-Ingenieure und -Ingenieurinnen von Basler & Hofmann verschiedene Speziallösungen konzipiert. Weicht man in der Planung von den Standardlösungen ab, muss man mit einer umfassenden Risikobeurteilung nachweisen, dass die Sicherheit gewährleistet werden kann. Das Planungsteam hat dazu die Entrauchung und Entfluchtung am Computer simuliert. Die Simulationen bildeten die Basis für die Konzipierung der Massnahmen. "Die Entrauchungssimulation hat zum Beispiel gezeigt, dass die Entrauchung in der grossen Tonhalle weniger leistungsstark sein muss, als vorgeschrieben. Dank der hohen Decke bildet sich eine stabile Rauchschicht weit oben im Saal, so dass auch die Gäste auf dem Balkon genügend Zeit zur Flucht haben", erklärt Christoph von Stauffenberg.
Gelungene Integration von Architektur und Brandschutz
Zentrales Element des Schutzkonzeptes ist die Entrauchung. "Damit die prunkvoll verzierte Decke in der grossen Tonhalle erhalten werden konnte, haben wir bestehende Öffnungen in der Decke für die Entrauchung genutzt", erklärt Juan Blond, während er mit seinem Finger auf eine Lücke in der Decke zeigt. Eine besondere Herausforderung war die Planung der Entrauchungskanäle um die bestehenden Stahlträger. Zum einen gab es dafür keine geprüfte Brandschutzlösung. Zum anderen musste die Decke weiterhin ihre akustische Funktion als Schall-Schlucker wahrnehmen können. "Dazu haben wir eine Reihe von Detailkonstruktionen entwickelt und die Stahlträger mit Schalldämpfungselementen ausgestattet", hält Christoph von Stauffenberg fest. Ein weiteres Zeugnis für die gelungene Integration von Architektur und Brandschutz ist die Terrasse mit Treppe in Richtung See: "Wir erkannten bereits ganz am Anfang des Projekts, dass es für den Kongressaal mehr Fluchtwege benötigen würde und schlugen die Idee mit der Terrasse und Treppe vor. Heute ist diese ein wichtiges architektonisches Element, dass es so bereits in den 30er Jahren gegeben hatte", erklärt Christoph von Stauffenberg.
Wiedereröffnung in altem Glanz
Mittlerweile hält der Herbst in Zürich Einzug. Die Tests mit Izar waren erfolgreich. Die Brandschutzmassnahmen wirken wie geplant und wurden von den Behörden abgenommen. Das Eröffnungskonzert war ein voller Erfolg. Kritiker loben die Akustik der wiedereröffneten Tonhalle. Diese sei besser als je zuvor. Und die kantonale Denkmalpflege ist begeistert ob der architektonischen Wiederauflebung des einzigartigen Veranstaltungsortes. "Nun hoffen wir, dass die Massnahmen für die Besucherinnen und Besucher im Verborgenen bleiben und es nie zu einem realen Einsatz kommt", meint Juan Blond.