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29. Oktober 2024 – Beitrag

«Setzt Euch zusammen und lernt miteinander»: Interview mit Bildungsexpertin Rahel Tschopp

Es gibt viele Gründe, sich Gedanken über «Lernräume» zu machen. Einer davon ist die Art, wie Schule verstanden wird. Die Schweizer Bildungsexpertin Rahel Tschopp ist auf diesem Feld seit langem erfolgreich unterwegs. Mit ihrer Firma Denkreise hat sie sich als Beraterin für postdigitale Pädagogik schweizweit einen Namen gemacht. Mit ihrem Team unterstützt sie Schulleitungen, Lehrpersonen, die Schulpflegedienste, Fachstellen und Mitarbeitende der Bildungsdirektion bei der Entwicklung von Lern- und Schulraumkonzepten.

Am 15. November 2024 um 15.30 Uhr wird Rahel Tschopp beim Fachseminar «Anders Lernen - neue Räume?»: Wirkungsvolle Wege in der Entwicklung von Schulräumen», einer Veranstaltung der Reihe «Schulraumentwicklung» von Basler & Hofmann, als Referentin auftreten. Wir haben sie vor dem Anlass getroffen und zu aktuellen Entwicklungen in der postdigitalen Pädagogik und den Konsequenzen für die Schulraumentwicklung befragt.

Fachveranstaltung Schulraumentwicklung: «Anders Lernen - neue Räume?»

Was bedeutet postdigitale Pädagogik und wie beeinflusst das Konzept die Anforderungen an Schulräume? 
Wir haben heute insbesondere in der Schweiz sehr viele digitale Möglichkeiten, oft mit einer 1:1- Ausstattung, das heisst jedes Kind verfügt über ein eigenes Gerät. Fast überall gibt es Internetanschluss. Das Digitale gehört also zur Grundausstattung. Anders als beispielsweise in Skandinavien haben wir dabei aber vermieden, wirklich alles vom Analogen ins Digitale zu übersetzen. Sondern wir haben immer geschaut, wo macht der Einsatz des Digitalen Sinn, aber wo auch des Analogen. Nun gibt es eine riesige Heterogenität zwischen den Schülerinnen und Schülern, die mit den modernen Lernmitteln lernen können, wann und was sie wollen. In der postdigitalen Pädagogik überlegen wir dabei, welche Kompetenzen effektiv die wichtigen sind und welche Strukturen dies benötigt. Ist es wirklich zeitgemäss, in Lektionen, Fächern und Klassenräumen zu denken? Die grösste Einladung, die ein postdigitaler Lernraum an Kinder aussprechen kann, lautet: Setzt euch zusammen und lernt miteinander. Geht in den Austausch und haltet euch aus. Wir müssen Lernräume darauf ausrichten, die Gemeinschaft zu stärken. 

Wie hat sich der Raumbedarf in Schulen in den letzten Jahren verändert, insbesondere im Hinblick auf die neuen Lernformen und Tagesstrukturen?
Wir haben heute einen viel grösseren Raumbedarf als noch vor einigen Jahrzehnten. Der Raumbedarf ist unter anderem durch den Fremdsprachenunterricht gestiegen, für den die Klassen häufig geteilt werden. Heute werden verschiedene Unterrichtsmethoden gelebt, bei denen die Kinder sich zum Beispiel zuerst im Kreis besammeln, danach in Gruppen arbeiten, bevor sie allein weiterfahren. Auch das erfordert mehr Platz. Dazu kommt nun die Tagesstruktur. Die Tagesschulen benötigen Raum für den Mittagsbetrieb und die Nachmittagsangebote. Diese finden heute nicht selten in den Kellerräumen ist, oft ohne richtiges Tageslicht, oft nicht sehr angenehm, oft ohne guten Schallschutz. Diesen Raumbedarf muss die Schulraumplanung berücksichtigen, was natürlich Kosten verursacht. Das ist jedoch der Bevölkerung häufig schwierig zu vermitteln, denn die Schule stellt mit all ihren Bedürfnissen meist den grössten Einzelposten im kommunalen Haushalt dar. Die Akzeptanz von Neu- und Umbauten hängt auch davon ab, wie stark die Schule im Austausch mit der politischen Gemeinde steht, also welche Öffentlichkeitsarbeit sie macht und welchen Ruf sie in der Gemeinde hat. 

Wie verstehen Sie Flexibilität von Lernräumen im Hinblick auf die sich ständig verändernden pädagogischen Konzepte und Lehrmethoden?
Ich denke, dass wir mehr Flexibilität brauchen und das heisst, lieber grösser gebaut, in grösseren Einheiten als in kleineren. Räume sollten in sich nochmals unterteilt werden können und untereinander gut verbindbar sein. Zudem gilt: Augen auf bei der Möblierung. Braucht tatsächlich jedes Kind einen eigenen Tisch und einen eigenen Stuhl? Nein, wieso auch? Vor allem die Kleinen lieben es, am Boden zu arbeiten, oder mit irgendwelchen kleinen Möbeln. Und sie bewegen sich gerne. Wenn überall Tische und Stühle stehen, gibt es keinen Platz mehr, um sich zu bewegen und verschiedene Lernformen zu leben. Wir passen unser Verhalten dem Raum respektive der Einladung des Raumes an. Und da haben wir noch sehr viele Spielmöglichkeiten, um diese Einladungen kindergerechter zu gestalten. 

Was sind die grössten Herausforderungen für Gemeinden in der Schulraumentwicklung?
Entscheidend ist die Expertise. Welche Fachkenntnisse und Erfahrungen mit erfolgreichen pädagogischen Konzepten, aus dem näheren Umfeld, aber gerne auch aus dem Ausland, fliessen in die Schulraumplanung mit ein? Von welchen positiven Beispielen kann man sich etwas abschauen? Hier haben viele Gemeinden Nachholbedarf. Planungsunsicherheit ist die zweite grosse Herausforderung, weil wir heute noch nicht genau wissen, wie viele Kinder es in einer Gemeinde in sechs Jahren tatsächlich geben wird. Der Bedarf an Schulraum wird von einer Reihe demografischer und städtebaulicher Themen bestimmt, die sich nur schwer prognostizieren lassen, die aber ganz grosse Auswirkungen haben können. Ich kenne Beispiele von Schulhäusern, die am ersten Tag schon zu klein waren. 

Inwiefern kann die Zusammenarbeit von Schulleitungen, Bauämtern und Bildungsexperten zu einer effizienteren Schulraumentwicklung beitragen?
Schulleitungen, Bauämter - und Bildungsexperten müssten zu dem Thema stärker zusammenarbeiten. Im Idealfall setzt man sich ganz zu Beginn zusammen, wenn es darum geht, zu überlegen, welche Pädagogik wir heute und in zehn Jahren wollen, und welches Raumprogramm wir dafür brauchen. Ich erlebe leider viel zu oft, dass das nicht der Fall ist. So kommt es vor, dass die Schulleitung gar nicht eingeladen wird, in diesem Prozess mitzuarbeiten, sondern erst gegen Ende einbezogen wird. Das Dilemma der Schulleitungen ist auch, dass sie oft die Ressourcen nicht haben, um sich in einem langwierigen und komplexen Planungsprozess wirksam einzubringen. Und oft fehlt auch hier die Expertise. Schulraumentwicklung spielt in der Ausbildung von Schulleiterinnen und Schulleitern keine Rolle. Bei der Zusammenarbeit ist also noch viel Luft nach oben. 

Wie können Schulen so gestaltet werden, dass sie sowohl den aktuellen als auch zukünftigen pädagogischen Anforderungen gerecht werden? 
Grundsätzlich braucht es eine grosse Flexibilität bei den Räumen. Und dann kommen eine Reihe von praktischen Fragestellungen hinzu, beispielsweise zum Thema Akustik. In vielen Zonen eines Schulhauses braucht es einen guten Schallschutz, was teuer sein kann. Der Aussenraum sollte zudem stärker als Lernraum genutzt werden können. Es braucht eine vielfältige Landschaft, nicht nur Rasen- oder Fussballfläche. Unterstände, Sonnen- und Regenschutz sind wichtig, denn das sind alles Einladungen, um dort unterwegs zu sein und zu lernen. Was wir in der Innen- und Aussenraumgestaltung auch viel stärker fördern müssen, sind Rückzugsorte, die optische und akustische Ruhe bieten. Den ganzen Tag inmitten einer Kindergruppe zu sein, das ist für Kinder anstrengend. Gerade in der Tagesschule brauchen wir daher Rückzugsräume. Diese können auch niederschwellig geschaffen werden, zum Beispiel durch die Einrichtung von Nischen, in die sich die Kinder verkriechen können oder in denen sie konzentriert arbeiten können.

Was sind Ihre Erwartungen an die Veranstaltung „Anders Lernen - neue Räume?“ und welche konkreten Impulse erhoffen Sie sich davon für die Schulraumentwicklung in der Schweiz?
Ich erwarte eine diverse Gruppe von Fachpersonen, die sich inspirieren lassen wollen und ihr Netzwerk vergrössern wollen. Ich hoffe, dass viele unterschiedliche Stakeholder miteinander in den Austausch kommen. Dass sie ihr Verständnis erweitern und dabei auch erkennen, dass es viele andere gibt, die über neue pädagogische Konzepte und neue Formen der Schulraumentwicklung nachdenken. Sicher geht es auch darum, konkrete Tipps zu erhalten und zu verstehen, wo Unterstützung eingeholt werden kann für ganz konkrete Fragestellungen wie Akustik oder Brandschutz. Wenn jede und jeder Teilnehmende eine oder zwei grosse Ideen und eine Reihe von neuen Beziehungen mitnimmt, haben wir viel erreicht. In dem Sinne bin ich überzeugt, dass wir alle gestärkt aus dem Fachseminar herauskommen werden. 

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