FACHLICH & PERSÖNLICH

Klug entscheiden mit Simulationen

Modelle, ob physisch oder digital, helfen uns, die Welt zu verstehen. Wir haben mit Fachleuten aus dem Portfoliomanagement, dem digitalen Planen und Bauen, der Waldentwicklungsplanung und der Sicherheits­beratung darüber geredet, wie sie Simulationen in ihrer Arbeit nutzen. Den Auftakt macht Bianca Brici, Produktmanagerin der Portfoliomanagement-Software Stratus.

Bianca, du hast Architektur studiert, dich in Real Estate Management weitergebildet und bist jetzt Produktmanagerin von Stratus, einer Software für das strategische Management von Immobilienportfolios. Was treibt dich an?
Im Architekturstudium stand das Gestalterische im Vordergrund. Ich habe mich aber immer mehr für alle Disziplinen rund um den architektonischen Entwurf interessiert. Deshalb habe ich Real Estate Management studiert. Dort konnte ich mein Wissen zu Gebäuden verbreitern, zum Beispiel in den Bereichen Städtebau oder Finanzen. Bei Stratus hat mich das Produkt Software extrem gereizt. Ich habe am Gymi gelernt zu programmieren und hätte fast Informatik studiert. Und als Produktmanagerin fühle ich mich gar nicht so weit weg von der Architektin. Gebäude sind ja auch Produkte (lacht).

Wenn Sie nicht mit ihrem Sohn in «Carcassonne» die Entstehung neuer Städte simuliert, entwickelt Bianca Brici-Spaar als Produktmanagerin die Portfoliomanagement-Software Stratus weiter. Ihr Ziel: Ein optimaler Werterhalt dank einer klugen Kombination von Wirtschaftlichkeits- und Nachhaltigkeitskriterien.

Was braucht es, um als Produkt­managerin erfolgreich zu sein?
Wir müssen die Nutzerinnen und Nutzer verstehen und ihre Bedürfnisse komplett ins Zentrum stellen. Das ist für uns Fachleute ein Spannungsfeld. Weil wir als Expertinnen und Experten selbst viel Wissen beizutragen haben. Da tappt man schnell in die Falle, eine Lösung zu entwickeln, bevor man genau weiss, was das Problem ist.

Wie umgeht ihr das?
Wir sprechen mit den Portfoliomanagerinnen und -managern über ihre «jobs to be done». Wir wollen ganz genau verstehen, welche Aufgaben sie erledigen müssen. In einem zweiten Schritt machen wir User-Tests anhand von Prototypen neuer Features. Wenn du so willst, «simulieren» wir den nächsten Entwicklungsschritt der Software, um unsere Lösung zu validieren.


Was beschäftigt die Portfoliomanagerinnen und -manager aktuell?
Zum einen die üblichen wirtschaftlichen Themen wie knappe finanzielle Ressourcen. Dazu kommen neue Anforderungen wie die Klimaziele. Sie müssen die CO₂-Emissionen reduzieren. Im Bereich von Neubauten gibt es Standards und Lösungen. Im Bestand hat man keine grüne Wiese für die Reduktion der CO₂-Emissionen. Es müssen viele Faktoren gleichzeitig 
berücksichtigt werden: Denkmalschutz, neue Sicherheitsnormen … Eine zusätzliche Herausforderung ist die riesige Menge an Daten, die sie bewirtschaften müssen.

Inwiefern sind die Daten eine Herausforderung?
Portfoliomanagerinnen und -manager haben viele unterschiedliche Systeme für die Datenerfassung und -analyse zur Verfügung, aber jedes Tool löst nur einen Teil ihrer Aufgabe. Sie brauchen Zustandsanalysen und Simulationen, die Zusammenhänge sichtbar machen und Handlungsoptionen aufzeigen.

Hast du ein konkretes Beispiel?
In Stratus haben wir eine Matrix kreiert, die den baulichen und energetischen Zustand aller Immobilien in einem Portfolio abbildet und zeigt, wo es den grössten Handlungsbedarf gibt und welche Massnahmen den grössten Impact haben. Oder nehmen wir an, eine Portfoliomanagerin möchte bis im Jahr 2040 das Ziel Netto-Null-CO₂ erreichen. Basierend auf wenigen statistischen Daten oder Kennzahlen zu den Immobilien des spezifischen Portfolios simuliert die Software einen möglichen CO₂-Absenkpfad und zeigt die erforderlichen Massnahmen an. Wenn die Empfehlungen mit dem vorhandenen Budget nicht umsetzbar sind, können in unserem Projekt- und Investitionsplaner mittels Parameter eigene Szenarien durchgespielt werden.

Wie stellt ihr sicher, dass die Ergebnisse von Stratus in der Realität Bestand haben?
Indem wir unsere Simulationen mit den realen Daten vergleichen. Da wir unsere Kunden über den gesamten Lebenszyklus ihrer Immobilien begleiten, haben wir Zugang zu realen Projektdaten. Zusammen mit den Kunden können wir die simulierten Kosten mit den Kosten der realisierten Projekte vergleichen. Wir haben diesen Learning-Loop.

Dass ich meinen nächsten Gesprächspartner persönlich treffe, ist aussergewöhnlich. Viel eher trifft man unseren Digitalexperten Gianluca Genova in einem Online-Meeting oder als Avatar im Metaverse an.

Wann hat deine Begeisterung für digitale Technologien angefangen?
Als ich den ersten Computer erhalten hatte. Da war ich etwa neun. Ich habe damals ein Autospiel bekommen, ich glaube «Midtown Madness» hiess das. Damit konnte ich in 3D aus Perspektive des Fahrers mitten durch die Stadt Chicago fahren. Das war sehr cool. 

Gibt es etwas in deinem Leben, wo du bewusst analog unterwegs bist? 
Den Kaffee mache ich immer noch mit meiner alten Mokkamaschine (lacht).

Gianluca Genova fühlt sich sowohl in der physischen wie auch in der digitalen Welt zuhause. Er hat bei Basler & Hofmann das Labor für Integrales Digitales Arbeiten aufgebaut und ist ein gefragter BIM-Experte. Aktuell befindet er sich auf Erkundungsreise im Metaverse.

Du hast bei Basler & Hofmann das Labor für Integrales Digitales Arbeiten, kurz IDA-Lab, aufgebaut. An was tüftelt ihr gerade?
Ein Thema, mit dem wir uns sehr stark beschäftigen, sind digitale Zwillinge von Bestandsbauten. Wir sind überzeugt, dass jedes Gebäude einen digitalen Zwilling verdient. Unter dem Titel «BBTwin» arbeiten wir an einer Plattform, die alle bestehenden Daten eines Bauwerks in einem Informationsmodell zusammenführt. Zusammen mit Hochschulen untersuchen wir, wie wir mit künstlicher Intelligenz automatisch Gebäudeinformationen aus erfassten Daten wie Laserscans, 360-Grad-Fotos oder akustischen Messungen bereitstellen können.

Wieso braucht jedes Gebäude einen digitalen Zwilling?
Wenn wir uns das Metaverse anschauen, dann werden wir in Zukunft nochmals ganz anders mit Gebäuden interagieren. Echte Bauwerke werden virtuell erweitert werden. Gebäude, die dann keinen digitalen Zwilling haben, werden in einer Stadt «dark spots» sein. Heute erstellen wir im IDA-Lab Visualisierungen von Modellen in virtuellen Umgebungen, um unsere Engineering-Lösungen zu simulieren und auch für Personen verständlich zu machen, die nicht vom Fach sind.

Hast du ein Beispiel?
Der Flughafen Zürich hat die ganze Befeuerung einer Piste auf LED umgestellt. Um das Risiko für einen Totalausfall zu minimieren, haben wir verschiedene Trafostationen geplant. Basierend auf dem digitalen Modell konnten wir verschiedene Teilausfallszenarien simulieren und mit einem Swiss-Fighter-Jet-Piloten mit Virtual Reality testen. Der Flughafen konnte unsere Engineering-Lösung somit vor der Umsetzung validieren.

Du bist in diversen internationalen und Schweizer Gremien zum Thema digitales Planen und BIM engagiert. Wie schätzt du den Grad der Digitalisierung in der Schweiz ein?
Die Schweiz war nicht das erste Land, das auf den Digitalisierungsuug aufgesprungen ist. Dafür pushen wir die Limits der Technologie, auch dank unserer Hochschulen. Ich würde sagen, mittlerweile sind wir anderen Ländern voraus, die vor uns begonnen haben, sich aber stark auf die Normierung fokussieren. Wir haben immer noch keine vollständige BIM-Norm. Aus meiner Sicht macht das aktuell auch keinen Sinn. Die Digitalisierung entwickelt sich so schnell; bis man etwas normiert hat, ist es schon wieder veraltet.
 

Während meine beiden ersten Gesprächspartner Bauwerke simulieren, befasst sich mein nächster Interviewpartner mit der Zukunft eines natürlichen Systems. Koni Nötzli leitet bei Basler & Hofmann Projekte rund um den Wald.

Wie geht es dem Wald in der Schweiz?
(Lacht). Das ist der Klassiker unter den Journalistenfragen. Dem Wald geht es eigentlich nicht schlecht. Aber durch den Klimawandel ist er extrem gefordert: höhere Temperaturen, Trockenheit, neue Schädlinge …

Ich gehe häufig auf dem Zürcher Hönggerberg joggen. Wie verändert sich dieser Wald gerade?
Es wird dort immer weniger Fichten geben. Durch den Klimawandel gibt es im Mittelland eine Verschiebung hin zum Laubholz wie zum Beispiel der Eiche. Die kann mit den hohen Temperaturen und der Trockenheit besser umgehen. Die Fichten verlieren durch die Trockenheit ihre Widerstandskraft. Gleichzeitig verlängert sich durch den Temperaturanstieg der Zeitraum, in dem sich die Borkenkäfer vermehren. Befällt ein Borkenkäfer eine Fichte, stirbt diese meist innerhalb eines Jahres.

Konrad Nötzli hat viele Jahre im Zürcher Forstdienst gearbeitet. Gemeinsam mit verschiedenen Stakeholdern versucht er jetzt als Berater die richtigen Weichen zu stellen, damit der Wald trotz Herausforderungen wie dem Klimawandel auch in Zukunft seine Funktionen wahrnehmen kann.

Das klingt beunruhigend …
Die Frage ist, ob der Wald für uns in Zukunft dieselbe «Leistung» erbringen kann wie heute. Wenn der Borkenkäfer einen Schutzwald befällt und als Folge ein Hang ins Rutschen kommt oder Lawinen drohen, muss man Verbauungen machen. Die nachlassende Schutzwirkung ist sicher eines der grössten Probleme.

Mit welchen Problemen haben wir es noch zu tun?
Die Schweizer Holzindustrie ist heute vor allem auf Nadelholz ausgelegt. Es gibt bisher wenige Werke, die die Buche verarbeiten. Ein weiteres Thema ist die Qualität des Trinkwassers. Wenn der Wald flächenhaft Schaden nimmt, dann steigt zum Beispiel die Nitratkonzentration im Trinkwasser an. 

Wie geht ihr in euren Projekten mit diesen Themen um?
Wir beraten Kantone und ihre Forstdienste. Diese haben den Auftrag, den Wald gemeinsam mit den öffentlichen und privaten Eigentümerinnen und Eigentümern in eine erwünschte Richtung zu lenken. Das machen wir zum Beispiel mit Entwicklungsplänen, die auf 15 bis 20 Jahre ausgelegt sind. Das Schwierige ist heute, dass niemand genau weiss, wie sich das Klima entwickeln wird. Die bisherigen Waldwachstumsmodelle sind infrage gestellt. Die Bäume, die wir heute empfehlen, sind schon in 50 Jahren vielleicht nicht mehr geeignet. Trotzdem muss ich heute entscheiden, was ich in 50 Jahren im Wald haben will.

Und wie macht ihr das?
Um das Risiko für flächige Schäden zu reduzieren, ist die wichtigste Strategie, eine möglichst vielfältige Baumartenpalette zu erhalten. Mittlerweile gibt es gute Hilfsmittel, die Entwicklung des Waldes unter Berücksichtigung des Klimawandels  zu simulieren.

Ihr simuliert also den Wald?
Ich würde eher sagen, gewisse Aspekte, von denen wir wissen, dass sie einen grossen Einfluss auf die Waldentwicklung haben. Der Wald als Ganzes ist ein sehr komplexes Ökosystem. Ein Bauteil oder ein Gebäude ist geometrisch definiert. Einen Baum, geschweige denn einen ganzen Wald, kannst du nie wirklich abgrenzen.

Hast du Beispiele für Tools, die ihr verwendet?
Gute Beispiele sind die Tree-App oder das Online-Borkenkäfer-Modell der WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft). Die Tree-App gibt Fachleuten draussen im Wald eine Empfehlung ab, welche Baumart sich für den Standort unter Annahme verschiedener Klimaszenarien eignet. Das Online-Modell zu den Borkenkäfern simuliert die Entwicklung der Borkenkäferpopulation in der Schweiz. Damit kann man sehen, wann die Käfer ausfliegen und den geeigneten Zeitpunkt für die Bekämpfung identifizieren.

Werden die Hilfsmittel von der Praxis denn auch angenommen?
Der Transfer aus der Forschung und Beratung ins Feld ist anspruchsvoll. Die Leute in der Praxis haben eine Tendenz zu wissen, was «da draussen» zu tun ist, auch ohne wissenschaftliche Beratung. Als ehemaliger Kreisforstmeister und Kantonsforstingenieur kenne ich das (lacht). Aber im Kontext des Klimawandels ist man froh um solche Tools. Es passieren Dinge, mit denen man keine Erfahrung hat. Da ist man dankbar um eine Entscheidungshilfe, die einem eine grobe Stossrichtung vorgibt.
 

Nicht zu wissen, was geschehen wird oder passieren könnte, ist ein Risiko. Welche Sicherheit können uns Simulationen bieten? Eine Frage an Peter Jost, Leiter des Fachbereichs Sicherheit bei Basler & Hofmann.

Peter, du und dein Team beraten Kunden zu Themen wie dem Brandschutz oder der Sicherheit bei Grossanlässen. Da will man auf Nummer sicher gehen, dass im Falle eines Ereignisses nichts schiefgeht. Können uns Simulationen diese Sicherheit geben?
Ich denke, Simulationen können uns helfen, konzeptionelle Grundüberlegungen zu validieren. Sie sind aber immer nur so gut, wie das zugrunde liegende Modell die Realität abbildet. Dies geht häufig vergessen. Es besteht das Risiko, dass man die Ergebnisse der Simulation als absolute Wahrheit versteht.

Etwas zugespitzt formuliert besteht die Gefahr, dass wir uns täuschen lassen …
Die Visualisierungen sehen heute sehr schön aus und sind einfach verständlich. Zudem gehen wir davon aus, dass der Computer präzise und exakt rechnet. Das stimmt auch grundsätzlich. Aber als Laie sollte man sich bewusst sein, dass, wenn man die Simulation mit einer unrealistischen Annahme «füttert», falsche Resultate herauskommen. Deshalb hat die Dokumentation und Nachvollziehbarkeit von Simulationen bei uns eine sehr hohe Priorität. Zudem sollten Bauherrschaften und Behörden die Abstraktion, die hinter den Simulationen steckt, nicht vergessen, gerade wenn wir Menschen simulieren.
 

Ob Erdbebensicherheit, Brandschutz oder Sicherheit bei Grossanlässen: Peter Jost ist ei Sicherheitsberater mit einem breiten Fachwissen, der gerne das Unmögliche denkt. Sein Credo: Konzeptionell-ingenieurmässiges Denken eröffnet Möglichkeitsräume - auch abseits der Standards.

Ist der Mensch überhaupt berechenbar?
Das Modellieren des menschlichen Verhaltens ist mit vielen Unsicherhei­ten verbunden. Die Softwareprogramme bieten heute viele Möglichkeiten, um die Varianten des menschlichen Verhaltens darzustellen. Sie arbeiten zum Beispiel mit einer gewissen Streuung bezüglich des Mobilitätsgrads von Personen: Es gibt ältere und 
jüngere Menschen, Leute mit eingeschränkter Mobilität … Nichtsdesto­weniger entsprechen die Resultate nicht zu hundert Prozent dem menschlichen Verhalten. Die Programme gehen zum Beispiel davon aus, dass Menschen bei einer Evakuation den kürzesten Weg nehmen. Aus Studien weiss man aber, dass Menschen in aller Regel den Weg nehmen, den sie gekommen sind.

Wenn wir den Simulationen blind vertrauen, wägen wir uns also möglicherweise in falscher Sicherheit …
Es ist ungünstig, wenn wir die Resultate als hoch präzise wahrnehmen. Wenn wir zum Beispiel eine Brandsimulation und eine Entfluchtungssimulation kombinieren und feststellen, dass der Rauch in 14 Minuten auf Kopfhöhe absinkt und die Personen rund 13 Minuten brauchen, um das Gebäude zu verlassen, dann darf man sich nicht auf diese kleine Marge verlassen.

Was empfiehlst du?
Unser Ansatz ist: Lieber konzeptionell durchdacht als einfach mal simuliert. Oder zugespitzt: Lieber grob richtig als «präzise» falsch. Ich glaube, eine qualitative Analyse einer Situation durch eine Expertin oder einen Experten bringt häufig sehr viel mehr als eine detaillierte Modellierung. Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung verstehen Fachleute relativ rasch, wie sich Feuer ausbreiten, wie sich Rauchgase bewegen, in welche Richtungen Menschen höchstwahrscheinlich fliehen würden und wo es zu Gedränge kommen könnte. Damit können die relevanten Stellschrauben für ein funktionierendes und robustes Brandschutzkonzept oft bereits identifiziert werden.

Wann machen Simulationen im Bereich der Sicherheit Sinn?
Sie können konzeptionelle Überlegungen bestätigen oder das Verständnis für Probleme schärfen. Dafür sind sie sehr wertvoll. Im Brandschutz sind die Anforderungen und Zusammenhänge zum Beispiel häufig so komplex, dass eine Simulation helfen kann, die Situation besser zu verstehen. Wir können damit auch unkonventionelle Lösungen überprüfen und verständlich kommunizieren. Indem sie fachliche Überlegungen nachvollziehbar machen, können Simulationen für Bauherrschaften oder eine Bewilligungsbehörde eine Entscheidungsgrundlage sein.

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